Island - Wilde Eislandschaft

Februar 2018 - Island

Ein Bericht von Oliver Gartmann

Island im Winter? Diese Frage musste ich vor meiner Reise doch das eine oder andere Mal beantworten und mich den misstrauischen Blicken stellen. Klar, die Mehrheit der Leser stellen sich unter Ferien womöglich schon etwas vor, was weit weg von eisiger Kälte, dunklen Tagen und Schneegestöber ist. Aber: Island im Winter kann ein unvergessliches Erlebnis sein - Ein Landschaftstraum, der seinesgleichen Sucht!

Die Ankunft am Flughafen in Keflavik mit Iceland Air erfolgt pünktlich. Die Landepiste ist mit einem weissen Schleier überzogen und die Sonne verabschiedet sich an diesem Nachmittag bereits schon wieder langsam hinter den Wolkengebilden über West-Island. Wir fassen unser 4x4 Fahrzeug und verlassen die Reykjanes Halbinsel richtung Süd-Osten. Unser heutiges Etappenziel - die Nacht ist bereits schon hereingebrochen - ist Selfoss. Unterwegs bekommen wir bereits die ersten Merkmale des Isländischen Winters zu spüren und staunen, dass hier entgegen der bisherigen Erwartungen und Einschätzungen doch recht viel Schnee liegt. Auch wenn man dies nicht in erster Linien annehmen mag, in Island sind die Schneevorkommen im Winter oftmals geringer als hier in Mittel-Europa. Das hat mitunter mit den Winden und dem Golfstrom zu tun, der auch - und das ist ein weiterer Irrglaube - in Island für verhältnismässig milde Temperaturen im Winter sorgt. Das Termometer sinkt selten unter minus 10 Grad Celsius.

Der eigentliche Grund für unsere Reise ist die Jagd nach Nordlichtern, welche um diese Jahreszeit grundsätzlich "Hochsaison" haben. So machen wir uns auch am ersten Abend nach dem Einchecken in unsere Unterkunft nochmals warm eingepackt auf den Weg ins Hinterland, wo die Lichtverschmutzung etwas geringer ist. Der Himmel ist klar, Sternen funkeln am arktischen Himmel. Leider sind die Sonneneruptionen diese Nacht sehr gering und so ist es auch gar nicht so schlimm, dass kurz darauf die Wolken aufziehen.

Der nächste Tag beginnt früh. Es ist noch stockdunkle Nacht, als wir um 07:30 nach einem fischreichen Frühstück Selfoss verlassen. Wir erreichen die Ortschaft Hella und langsam dämmert es am Horizont. Die Landschaft verwandelt sich in ein pastellfarbenes Schneeparadies, das mehr kitschig als realistisch anmutet. Wir halten an einer Ebene, auf der dutzende von Island-Pferden - der Kälte trotzden - die Schneeschichten mit ihren Hufen aufklopfen, um an die gefrorenen Flechten und Gräser zu kommen. Ihre langen, dichten Mähnen sind mit Eispartikel durchsetzt, der warme Atem der Pferde kondensiert in der kalten Morgenluft. Ein Anblick, der demütig stimmt und uns zeigt, wie robust diese Tiere hier draussen sein müssen.

Es wird heller und wir gelangen zum Seljalandsfoss, einem der wohl bekanntesten Wasserfälle Islands. Entgegen den Besuchen im Sommer erleben wir hier ein koplett anderes Bild. Grosse Teile des Wasserfalls sind vereist und der Fall führt wesentlich weniger Wasservolumen. Gegenüber strahlen die verschneiten Berghänge der Vestmanneyjar Inseln in der nun aufgehenden Sonne. Das Meer peitscht unaufhaltsam gegen die steinige Küste.

In der Region des Eyjafjallajökull machen wir einen nächsten Halt. Es ist jedesmal eindrücklich, an dem Ort zu stehen, der vor einigen Jahren der Ursprung eines europaweiten Flug-Chaos war. Hier fand die Eruption statt, welche dichte Aschewolken kilometerweit in die Atmosphäre schleuderte. Heute ist alles hier in ein lila-weisses Schneekleid gepackt. Wir geniessen die unglaubliche Ruhe, während wir die blau schimmernden Eismassen des Gletschers betrachten.

Die Schwarzen Strände von  Vik i Mydral sind zwar im Sommer schon spektakulär, aber was der Winter mit dieser Landschaft macht, ist einzigartig. Hier entstehen unbeschreibliche Kontraste der Farben. Wir gehen über den teilweise schneebedeckten Lavastrand und hinterlassen tiefschwarze Fussabdrücke im weissen Schnee. Die Basaltfelsen stechen wie Nadeln aus den tosenden Wellen vor Vik. Wildes Island!

Entlang von Gletscherzügen und teils verschneiten Lavafeldern gelangen wir in die Region des Vatnajökull zur Gletscherlagune Jökulsarlon. Wer gerne fotografiert, ist hier im Paradies. Die hellblau leuchtenden Eisschollen, welche direkt vom Gletscher in die Lagune gelangen, treiben in der nur teilweise zugefrorernen Lagune. Am gegenüberliegenden Strand vollbringt die Natur ein einzigartiges Spektakel. Teile der Eisschollen werden durch eine Öffnung der Lagune zu Meer hin hinausgetrieben und von den Wellen wieder an den schwarzen Strand gespült, wo Sie wie Diamanten in der tief stehenden Sonne funkeln und leuchten. Es ist ein Ort, der mich magisch fesselt und mitunter ein Grund ist, weswegen ich Island schon so oft bereist habe.

Wir wollen dem Eis aber noch mehr auf die Spur kommen und buchen eine Ice Cave Tour mit einem Super Jeep. Über die zugeschneiten Geröllfelder des Vatnajökull, welcher der 3. grösste Gletscher der Erde und der grösste Europas ist, gelangen wir auf die gewaltigen Eisflächen der Gletscherzuge. Die mit Spikes versehenen, riesigen Gummireifen des Jeeps kämpfen sich langsam höher und höher. Wir erreichen eine Gletscherebene. Ausgerüstet mit Helm und Steigeisen klettern wir in eine Eisspalte. Hier drinnen ist es - im Vergleich zu draussen - mit rund 0 Grad Celsius angenehm warm. Durch das von oben einfallende Sonnenlicht erstrahlen die Eiswände der Höhle in einem leuchtend hellen Blau. Wunderschön. Wir wandern bei eisigem Wind über die Eisflächen und gelangen zu einer weiteren Eishöhle. Die tausende Jahre alten Eiswände und Eisdecken sind hier schwarz eingefärbt. Dies ist das Resultat der Vulkanausbrüche, die in dieser Region massgeblich zur Landschaftsgestaltung beigetragen haben. Immer tiefer waten wir teilweise durch kleine Bäche und Geröllfurchen hinein in die Höhle. Dann weist uns unser Guide an, uns zu setzen. Er löscht seine Stirnlampe und komplette Finsternis umhüllt uns. Man sieht die eigene Hand vor dem Gesicht nicht mehr. Einzig die hallenden Tropfen des schmelzenden, uralten Eises sind zu hören. Dann beginnt der Guide, ein altes Elfenlied zu singen. In dieser Dunkelheit den Klängen zu lausche, berührt uns tief und wir spüren, wie sich eine Gänsehaut über unsere Arme ausbreitet.

Wir sind wieder auf dem Rückweg richtung Reykjavik. Die Strassen sind vom Wind und den Schneeböen, welche urplötzlich aufgetreten sind, weiss verhüllt. Eben noch hat die Sonne in einem warmen Orange die Landschaft beleuchtet, jetzt prasseln erbsengrosse Hagelkörner auf die Windschutzscheibe. Wir drosseln das Tempo. Vor uns ist Blaulicht zu sehen. Wir werden von der Road Patrol angehalten und informiert, dass die Ringstrasse zwischen Skaftafell und Seljalandsfoss aufgrund eines Blizzards bis auf Weiteres gesperrt bleibt. Kein Weiterkommen am heutigen Tag. Für uns bedeutet dies, dass wir unseren Rückflug morgen früh wohl vergessen können. Die Isländer nehmens etwas gelassener als wir und meinen nur: Für uns nichts neues...

So stecken wir noch weitere zwei Tage fest, denn ein heftiger, orkanartiger Schneesturm überzieht das Land und macht jegliche Fortbewegung schlicht unmöglich. Eine Strasse ist weit und breit nicht zu sehen. Alles ist Weiss, nur weiss. Der Wind, welcher mit ca. 150 Kmh weht, schlägt uns den harten Schneeregen ins Gesicht. Wir verziehen uns in unsere notdürftig organisierte Unterkunft und warten ab. Auch das ist Island im Winter. Ein kalkulierbares Risiko, das es sich einzugehen lohnt!

Die Wetterkapriolen haben sich gelegt und wir gelangen mit zweitägiger Verspätung zurück in die Hauptstadt Reykjavik. Wir geniessen in Gesellschaft einiger ureingesessener Isländer einen Schwatz über Gott und die Welt in einem der Hot Pots in der Region. Mit einem kurzen Spaziergang entlang der Laugavegur in Reykjaviks Innenstadt lassen wir unseren Kurztrip ausklingen.

Island im Winter - Ein Abenteuer in einer märchenhaften, harten, wilden und grenzenlos ehrlichen Naturlandschaft. Ein Wiedersehen ist garantiert.

Oliver Gartmann